Henry Kissinger: Spuren seiner Kriegsverbrechen

Von Christopher Hitchens

Die vollständige Version des in Harper`s veröffentlichten Textes von Christopher Hitchens zur Rolle von Henry Kissinger erscheint in deutscher Sprache am 14. Juni 2001 in Lettre International, Berlin. Da Lettre International für die deutsche Übersetzung Exklusivrechte erworben hat, SvZ davon in Kenntnis gesetzt worden ist und uns nichts ferner steht, als diese Rechte zu beschneiden oder zu verletzen, beschneiden wir somit den folgenden deutschen Auszug und verweisen für den vollen Textumfang auf die demnächst erscheinende gedruckte Zeitschrift bzw auf www.lettre.de.

[Auszug aus: Ch.H., »The Case Against Henry Kissinger. Part One: The Making of a War Criminal«, in: Harper<s Magazine, February 2001, p.37-44]

Generalprobe: Das Geheimnis von 1968

Die politische Klasse von Washington hütet ein offenes Geheimnis, das zu gewichtig und zu schrecklich ist, um gelüftet zu werden. Obgleich es unter akademischen Historikern, älteren Reportern, früheren Kabinettsmitgliedern und Ex-Diplomaten allgemein bekannt ist, wurde es doch noch nie zusammenhängend dargestellt. Der Grund dafür ist auf den ersten Blick paradox. Das offene Geheimnis ist im Besitz der beiden großen Parteien, und es betrifft unmittelbar die vergangenen Amtsgeschäfte von mindestens drei ehemaligen Präsidenten. Aus diesem Grund hat kein politisches Lager ein besonderes Interesse an seiner Enthüllung. In seiner Wahrheit besteht sozusagen die Garantie seiner Obskurität. Wie Edgar Allan Poes »Gestohlener Brief« liegt dieses Geheimnis ganz offen in jenem Mittelgang, der die amerikanische Zweiparteienherrschaft bezeichnet.

Hier ist das Geheimnis in wenigen Worten. Im Herbst 1968 machten Richard Nixon und einige seiner Abgesandten und Mitarbeiter sich daran, die Pariser Friedensverhandlungen über Vietnam zu sabotieren. Die gewählten Mittel waren einfach: Sie versicherten den Militärführern Südvietnams bei privaten Gesprächen, daß eine künftige republikanische Regierung ihnen ein besseres Verhandlungsangebot als die Demokraten machen würde. Auf diese Weise torpedierten sie sowohl die Gespräche selbst als auch die Wahlstrategie des Vizepräsidenten Hubert Humphrey. In gewisser Hinsicht »funktionierte« diese Taktik. Die südvietnamesische Junta zog sich am Vorabend der Wahl aus den Verhandlungen zurück und zerstörte so die Friedensinitiative, auf die die Demokraten ihren Wahlkampf aufgebaut hatten. In anderer Hinsicht jedoch »funktionierte« die Taktik freilich nicht, denn die Nixon-Administration versuchte vier Jahre später, den Krieg zu genau jenen Bedingungen zu beenden, die bereits in Paris vorgelegen hatten. Der Grund für die Totenstille, die diese Frage immer noch umgibt, ist die Tatsache, daß in diesem Zeitraum ungefähr zwanzigtausend Amerikaner und ungezählte Vietnamesen, Kambodschaner und Laoten ihr Leben verloren. Diese Toten waren also noch viel sinnloser als jene, die vor 1968 abgeschlachtet wurden. Die Einwirkungen dieser vier Jahre auf die Gesellschaften Indochinas und auf die amerikanische Demokratie sind unermeßlich. Der Hauptprofiteur der verdeckten Aktion und der folgenden Schlächtereien war Henry Kissinger.

Ich kann bereits die Wächter des Konsensus ihre stumpfen Federn wetzen hören, um meine »Verschwörungstheorie« zurückzuweisen. Ich nehme die Herausforderung mit Freuden an. Werfen wir zuallererst einen Blick in die Diairies jenes berüchtigten Verschwörers (und Verschwörungstheoretikers) H.R.Haldeman, die im Mai 1994 veröffentlicht wurden. Ich möchte aus zwei Gründen damit beginnen. Erstens, weil man es angesichts einer »Aussage gegen eigene Interessen« für durchaus unwahrscheinlich halten darf, daß uns Haldeman Zeugnisse für seine Mitwisserschaft an einem Verbrechen mitgeteilt hätte - es sei denn, er erzählte uns (posthum) die Wahrheit. Zweitens, weil man jeden einzelnen seiner Tagebucheinträge bis auf seinen Ursprung in anderen dokumentierten Quellen zurückverfolgen kann.

Im Januar 1973 fand sich die Nixon-Kissinger-Administration - als deren Protokollant Haldeman tätig war - an zwei Fronten in heftige Kämpfe verwickelt. In Paris versuchte Henry Kissinger erneut, einen »ehrenvollen Frieden« für Vietnam auszuhandeln. In Washington begann sich die Schlinge um die Einbrecher und Wanzenleger von Watergate allmählich enger zu ziehen.

John Dean sagte bei seiner Vernehmung vor der Watergate-Anhörung, daß wir jedenfalls harte Beweise dafür hätten, daß das [Wahlkampf-]Flugzeug´68 mit Wanzen bestückt war, und er denke, daß wir das als Basis benützen könnten, um zu sagen,wir werden den Kongreß dazu zwingen, in einer Untersuchung sowohl auf ´68 als auch auf ´72 zurückzukommen, und sie auf diese Weise abzuschrecken.

Drei Tage später, am 11.Januar 1973, erfährt Haldeman von Nixon (der in den Tagebüchern als »der P« figuriert):

In der Watergate-Frage wollte er, daß ich mit [dem Justizminister] Mitchell spräche, und dieser solle von [Deke] De Loach [vom FBI] in Erfahrung bringen, ob der Typ, der uns 1968 die Wanzen legte, immer noch beim FBI sei, und dann solle [der stellvertretende Direktor Patrick] Gray ihn mit einem Lügendetektor nageln und das Ganze regeln, was uns die benötigten Beweise liefern würde. Er denkt auch, ich solle zusammen mit George Christian [Präsident Johnsons früherer Pressesprecher, der damals für die«Demokraten für Nixon« arbeitete] LBJ [ Lyndon B. Johnson] dahin bekommen, daß er seinen Einfluß spielen läßt, um die Hill-Untersuchung mit Califano, Hubert, usw. abzuschrecken. Im späteren Verlauf des Tages fand er, dies sei doch keine so gute Idee, und er wies mich an, ich solle es bleiben lassen; glücklicherweise hatte ich es auch noch nicht getan.

Am gleichen Tag berichtet Haldeman, Kissinger habe aufgeregt aus Paris angerufen und gesagt, »er werde eher in Paris als in Hanoi unterschreiben, was der Schlüssel sei«. Auch sprach er davon, der südvietnamesische Präsidenten Thieu solle dazu gebracht werden, »weiterzumachen«. (. . .)